Statement: Sexismus in der juristischen Ausbildung vom 19.03.2020
Vor ein paar Tagen schrieb der Dekan der Leipziger Juristenfakultät (sic!) auf seinem privaten Twitteraccount: „In der Revisionsklausur müssten eigentlich die Frauen besser abschneiden. Sie sind geübt darin, anderer Leute Fehler zu finden.“
Das findet ihr nicht witzig? Wir auch nicht.
Als Hochschulprofessor und Leiter der juristischen Fakultät hat der Dekan eine Macht-, Orientierungs- und Vorbildfunktion inne. Beruflich ist er u.a. an den Gleichstellungsplan der Juristenfakultät gebunden, (https://www.jura.uni-leipzig.de/…/Gleichstellungsplan_2019-… ), dessen Zielvorgaben u.a. die „Sensibilisierung für Genderaspekte“ und einen „reflexiven Sprachgebrauch“ beinhalten.
Wenn wir Twitterposts wie den zitierten von unseren Ausbilder*innen sehen und dazu die erschreckende Bestandsaufnahme im Bereich der juristischen Ausbildung hinsichtlich Gendergerechtigkeit anschauen, fragen wir uns, zunehmend wütend, wie ernst solche Zielstellungen genommen werden. Dazu ein paar Worte:
Der flapsige Twitterpost reproduziert veraltete und stereotype Geschlechterklischees, die seit Jahrhunderten von Männern an Stammtischen und im Alltag wiederholt und belacht werden – auf Kosten einer klassischerweise strukturell benachteiligen Bevölkerungsgruppe: auf Kosten von Frauen. In einer patriarchal geprägten Gesellschaft, in der Arbeits- und Mitbestimmungsrechte von Frauen historisch keine Selbstverständlichkeit sind und in der die Gleichstellung der Geschlechter heute zwar politische Zielstellung, aber noch lange nicht erreicht ist (Stichwort: Gender Pay Gap, Anerkennung und Entlohnung von reproduktiver und Care-Arbeit, Anteil von Frauen in Führungspositionen), fällt das Ertragen solcher Witzchen vielen Menschen schwer. Also: So weit, so geschmacklos.
Aber weiter: Auch in der juristischen Ausbildung ist die Allgegenwart und Verbreitung platter Geschlechterstereotype Realität, auch hier ist Sexismus alles andere als ein Fremdwort. Dies erstreckt sich vom Ausbildungsmaterial über das Lehrpersonal bis hin zu den Lehrmethoden: Die juristischen Ausbildungsfälle weisen eine Unterrepräsentanz von Frauen auf und bedienen oftmals platte Rollenstereotype. (siehe dazu: „(Geschlechter)Rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen – eine Hamburgische Studie“: https://www.jura.uni-hamburg.de/…/broschuere-gleichstellung… ). Obwohl über die Hälfte der Jurastudierenden in Deutschland weiblich ist, nimmt der Frauenanteil mit jeder Ausbildungsstufe ab: In den Rechtswissenschaften gibt es im Bundesdurchschnitt gerade einmal 16% Professorinnen (Stand: 2015).
Genderkompetenz in der juristischen Fachdidaktik und gendersensible Sprache sucht man oft vergeblich; stattdessen kommt es vor, dass sich Studierende in Lehrveranstaltungen sexistische Sprüche anhören müssen. (Dazu und tiefergehend: „Sexismus in der juristischen Ausbildung. Ein #Aufschrei dreier Nachwuchsjuristinnen“ in: djbZ 4/2016, S. 190-193, https://www.djb.de/publikationen/…/djbZ-2016-4/djbZ-2016-4a/ ).
Anstatt diesen Befund öffentlichkeitswirksam zu problematisieren sowie ihm aktiv gegenzusteuern, wird er an juristischen Fakultäten oftmals schlicht nicht ernst genommen.
Dem treten wir als Kritische Jurist*innen entgegen: Wir fordern einen Einstellungswandel. Wir fordern eine aktive Sensibilisierung für Gleichstellungs-, Sexismus- und Diskriminierungsproblematiken. Wir fordern das Selbstverständliche: Den Gleichstellungsauftrag, der u.a. aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG und den zahlreichen Gleichstellungsplänen von Universitäten und juristischen Fakultäten folgt, aktiv und engagiert zu verfolgen. Wir fordern die Einhaltung unserer Rechte auf Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit.
Wir wünschen uns Fakultäten, die sich, anstatt privat unreflektierte Witzchen mittels anachronistischer Geschlechterstereotype zu verbreiten, um aktive Gleichstellungspolitik in den Hochschulen bemühen und die kritische Reflexion juristischer Ausbildungsliteratur anregt. Wir wünschen uns eine Professor*innenschaft und einen Mittelbau, die diese Bemühungen aktiv unterstützen und vorantreiben und Studierende hierbei unterstützen, anstatt sie fürchten zu lassen, sie könnten für den Gebrauch von gendersensibler Sprache Nachteile kassieren.
#Aufschrei
PM vom Bakj-Kongress in Halle (06.-08.07.2018): Deutschland probt den Ausnahmezustand
Mit Besorgnis beobachten wir, der Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen (Bakj), wie sich in Deutschland eine Sicherheitslogik verselbständigt, die kein Mehr an Sicherheit bietet, nicht einmal im Sinne eines bürgerlichen Staates. Anstatt unter Sicherheit den Schutz von Grundrechten und die Garantie von Freiheit zu verstehen, werden genau diese Elemente eingeschränkt und ein Sicherheitskonzept der Überwachung und Kontrolle etabliert. Die Entwicklung hin zum Ausbau eines autoritären Sicherheitsapparats hat eine lange deutsche Tradition. Dabei werden selbst Mindeststandards für vernünftiges staatliches Handeln wie die Verhältnismäßigkeit, als zentraler staatlicher Rechtsfertigungsmaßstab, der die staatlichen Eingriffsbefugnisse begrenzt, über Bord geworfen.
Diese Entwicklung drückt sich derzeit in verschiedenen politischen Projekten aus.
So zeigt sich bspw. mit den „AnkER-Zentren“, dass ein vermeintlich sicherheitspolitisches Projekt derzeit vorangetrieben wird, das letztlich den Ausbau sozialer Brennpunkte sowie aufenthaltsrechtliche Rechtsentsetzungen für die Betroffenen bedeutet und damit weder die suggerierte „Sicherheit“ noch ein rechtsstaatliches Verfahren bietet.
Als weiteres Beispiel lässt sich die Verabschiedung neuer Polizeigesetze, die Befugnisse der Polizei zur Gefahrenabwehr enorm ausweiten, in mehreren Bundesländern aufführen. Eine zentrale Neuerung hierbei ist die Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“, die die Bedrohung nicht mehr in objektiv bestimmbaren Tatsachen sucht, sondern in Personen, in deren Absichten, Zwecken und Zielen. Das Gefahrenabwehrrecht wird damit in ein Gesinnungsrecht überführt. Hierbei wird sich auf die Rechtsprechung des BVerfG berufen, die den Begriff der drohenden Gefahr eingeführt haben soll. Allerdings tat es dies nur mit dem Verweis auf „terroristische Straftaten“ und verfolgte gerade nicht die Absicht, den Begriff allgemein im Gefahrenabwehrrecht zu verwenden. Zudem hat der deutsche Staat bereits mehrfach bewiesen, dass er die tatsächlichen Gefahren menschenfeindlicher Gesinnungen nicht zutreffend einschätzen kann. Das zeigt sich an den Verstrickungen von Sicherheitsbehörden in den NSU-Skandal, daran, dass die vermeintliche Gefahrenabwehr sich gegen antikapitalistische, antifaschistische und migrantische Gruppen richtet und an den Gerichten, die antisemitische Brandstiftungen als Israelkritik einstufen. Zudem werden über die Polizeigesetze der Länder Instrumente wie “Gefahrengebiete“ verschärft, die sich weitgehend rechtsstaatlicher Kontrolle entziehen und Grundrechte von Menschen einschränken, insbesondere von jenen, die von den gesellschaftlichen Wohlstandsnormen oder der weißen Mehrheitsgesellschaft abweichen.
Die diskursive Beschwörung der „inneren Sicherheit“ meint in diesem Verständnis immer die Sicherheit des Staates vor seinen Bürger*innen und nie Sicherheit der Bürger*innen vor ihrem Staat, nicht der Schutz von Rechtsgütern, wie dem Recht auf Leben, sondern die Befriedigung eines irrationalen Sicherheitsempfindens wird damit zur Staatsräson. Einfache Maßnahmen, die die Grundrechte vor Staatsgewalt schützen können, wie die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen, werden abgelehnt. Gleichzeitig werden Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit von Polizist*innen, als Menschen erster Klasse, unter besonderen strafrechtlichen Schutz gestellt, obwohl kein realer Anstieg von Gewalt gegen Polizist*innen zu verzeichnen ist. Diese Gesetzesverschärfungen, Erweiterungen der Ermächtigungsgrundlagen und mangelnde rechtsstaatliche Kontrolle zeigen, dass sich Polizeibehörden sowohl der rechtlichen als auch gesellschaftlichen Kontrolle entziehen und dabei politische Akteure sind, die eigene, reaktionäre Ziele verfolgen.
All diese Beispiele sind nicht der Ausnahmezustand, die reale Suspendierung des Rechtsstaates zur imaginierten Rettung des Rechtsstaates, aber Ausdruck einer Sicherheitslogik, die mit dem Ausnahmezustand wenigstens vereinbar ist, ihn vorbereitet und ermöglicht. Erschreckend ist, mit welcher Dankbarkeit selbst das geringste Fünkchen krisenhafter Situationen zum Anlass genommen werden, autoritäre Krisenlösungsstrategien durchzusetzen. Während sich andernorts soziale Bewegungen in Gang setzen, die Probleme grundhaft angehen wollen, flüchtet sich die deutsche Gesellschaft in eine “emotionalisierte” Sicherheitsdebatte und verlangt nach größeren Holzhämmern, die von der Legislative, Exekutive und leider auch der Judikative bereitwillig angeboten werden – unabhängig von der tatsächlicher Eignung dieser Mittel und der tatsächlichen Sicherheitslage.
Von Recht und Staat ist gegen die strukturell bedingten Übergriffe ihrer eigenen Vollzugsorgane keine Hilfe zu erwarten. Vielmehr ist zu hinterfragen, inwiefern Gewalt und ihre Missbräuche aus den Verhältnissen der rechtlichen und staatlichen Herrschaftsform resultieren. Ihnen kann nicht allein rechtlich, sondern muss auch mit politischen Kämpfen begegnet werden.
PM: Universitäre Schwerpunktbereiche erhalten – Autonomie ausbauen!
In letzter Zeit gab es immer wieder Diskussionsbeiträge, die sich für eine Vereinheitlichung des universitären Schwerpunktbereichs im Jurastudium aussprechen. Zwar könnten universitäre Schwerpunkte zur inhaltlichen Profilbildung der Fachbereiche beitragen und seien insoweit zu erhalten, eine Vereinheitlichung müsse aber zumindest hinsichtlich der Art und des Umfangs der Leistungsnachweise erfolgen, heißt es.
Der Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen (BAKJ) lehnt eine Vereinheitlichung sowohl inhaltlicher als auch formeller Art ab und plädiert im Gegenteil für eine Stärkung des Schwerpunktbereichs unter Beibehaltung der universitären Autonomie. Die Vereinheitlichungen im Zuge der Bologna-Reform haben, wie mittlerweile bekannt ist, gerade nicht zu einer Vergleichbarkeit des Studiums oder der Abschlüsse beigetragen.
Dem Ruf nach Vereinheitlichung scheint die Vorstellung zu Grunde zu liegen, dass die Vergleichbarkeit eines Abschlusses durch „Art und Umfang“ der Leistungsnachweise herstellbar ist. Wir glauben: Das Unterschiedliche ist unterschiedlich. Inhaltliche Unterschiede im Schwerpunkt, je nach Bereich, je nach Universität lassen sich nicht auf formeller Ebene aufheben. Dem Ruf nach formeller Gleichheit liegt der uneinlösbare Wunsch nach Eindeutigkeit zugrunde, die sich in komplexen Fragen, wie denen der Beurteilung individueller Fähigkeit auf einer Notenskala nicht herstellen lässt. Mit einer Logik der Quantifizierung ist über Qualität noch nichts gesagt. Die Festlegung auf drei Abschlussklausuren z.B. kann eine inhaltliche Vergleichbarkeit nicht gewähren. Anzuzweifeln wäre vielmehr der fast schon religiöse Glaube der Jurist*innen an die Aussagekraft ihres Notensystems.
Ferner scheinen diese Positionen vorauszusetzen, die Art und der Umfang von Leistungsnachweisen hätten keinen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des Schwerpunkts. Auch die formale Gestaltung des Schwerpunkts ist allerdings Teil der universitären Selbstverwaltung. Verschiedene Prüfungsformen gewähren ein unterschiedliches Maß an wissenschaftlicher Freiheit. Die Prüfungsform der wissenschaftlichen Hausarbeit ermöglicht und erfordert einen anderen Umfang der Reflexion inhaltlicher Fragen als eine Klausur. Seminaren, die mit Klausuren abschließen, liegt eine ganz andere Art und Idee von Wissenstransfer zu Grunde als Seminaren, die auf den Erwerb der Fähigkeit zu wissenschaftlicher Recherche zielen. Die Wahl zwischen unterschiedlichen Veranstaltungs- und Prüfungsformen würde durch eine einheitliche Festlegung entfallen. Zu vermuten steht, dass gerade die wissenschaftlichen Teile des Studiums darunter leiden würden. Gerade vor dem Hintergrund der Kritik des Wissenschaftsrates, das Jurastudium genüge den wissenschaftlichen Standards nicht, darf die Reflexion des Rechts im Studium nicht weiter abgebaut und durch dogmatisches Klein-Klein ersetzt werden. In den Rufen nach Vereinheitlichung des Schwerpunkts sehen wir nur den Vorlauf für Forderungen zur Rückkehr zur Staatsprüfung und damit der Abschaffung der universitären Autonomie im rechtswissenschaftlichen Studium, wie man sie etwa bei der Heidelberger Dekanin Prof. Mager finden kann. Das halten wir für den falschen Weg. Statt an der zum Scheitern verurteilten Idee eines vergleichbaren Abschlusses festzuhalten, einer Idee, die aufgrund ihrer Wahnstruktur nie realisiert werden kann, plädieren wir für die Akzeptanz von Differenz und Uneindeutigkeit – wie sie für alle wissenschaftlichen Studiengänge üblich ist.
Entgegengehalten wird dem heterogenen Schwerpunkt die vermeintliche Aussagekraft der staatlichen Pflichtfachklausuren. Diesen Klausuren kommt in der juristischen Standard-Erzählung eine Wahrheitsfunktion zu: Die mehr oder minder zufälligen Klausuren sollen in der Lage sein, die fachliche Kompetenz der Kandidat*innen objektiv, treffsicher und einheitlich zu bestimmen. Ein Gedanke, der sich in seiner Formulierung selbst widerlegt. So sind die Schwerpunkte vielmehr als Möglichkeit der spezifischen Qualifikation und Pluralisierung zu begreifen und nicht als Angriff auf das Staatsexamen und die Fiktion der Einheitsjurist*in, die in alle Kleider passen soll.
Der BAKJ fordert deshalb, den Schwerpunktbereich beizubehalten und von weiteren Vereinheitlichungen abzusehen. Perspektivisch setzt sich der BAKJ für einen Ausbau des universitären Anteils am Studienabschluss auf min. 50% ein.