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Antiautoritär durch die Krise

4. April 2020 by kj-leipzig


In Zeiten von Cornona gilt: „Abstand ist die neue Nähe“. Es ist derzeit sinnvoll und notwendig, Kontakte auf ein Minimum zu begrenzen. Genauso klar ist aber auch, dass social distancing Gefahren birgt und pauschale Ausgangsperren unsolidarisch und nicht sachgerecht sind. Nicht jede:r kann zuhause bleiben. Alleinlebende können so in soziale Isolation geraten, mache erwartet zu Hause Gewalt und mache Menschen haben nicht einmal ein Zuhause. Aber auch diejenigen, denen diese Gefahren nicht drohen, dürfen nach dem Sinn der jüngst erlassenden Regelungen fragen.

Auf dem politischen Parkett gelten in diesen Zeiten aber vor allem markige Worte und das zur Schau stellen unbedingter Entschlossenheit. Zeit über die Sinnhaftigkeit [1] und Verfassungsmäßigkeit von erlassenen Regelungen nachzudenken bleibt nicht. Der Erste, der diese Situation zur persönlichen Profilierung zu nutzen wusste, war Markus Söder. Er verhängte für sein Bundesland im Alleingang Ausgangsbeschränkungen. Weite Teile, der ansonsten kritischen Öffentlichkeit – weit ins linksliberale Milieu hinein -, stimmten ihm nicht nur zu, sondern gaben ihm aktiv Rückendeckung.

Indem sie jene als irrational abtaten [2], die Söders autoritärem Stil nicht folgten – einen Mittelweg gibt es anscheinend nicht -, gaben sie schon vor dem eigentlichen Entscheidungstag am 22.03. die Richtung vor; Ausgangssperren waren unvermeidlich. Um sich am Ende nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, der Verbreitung des Virus nichts entgegengestellt zu haben, schränkten auch die anderen 15 Landesregierungen die Grundrechte der Bevölkerung drastisch ein.

Schon hier zeigt sich das erste rechtliche Problem: Die größten Grundrechtsbeschränkungen seit Gründung der Bundesrepublik wurden nicht etwa vom „demokratischen Souverän“, vermittelt durch die Landesparlamente, in Form eines formellen Gesetzes beschlossen (auch solche Gesetze können problematisch sein), sondern von den Landesregierungen. Diese bedienten sich in einigen Ländern am Instrument der Rechtsverordnung, in anderen sogar nur des Verwaltungsaktes (mittlerweile wurde durch Sachsen und Bayern nachgesteuert und eine Rechtsverordnung mit schärferen Inhalt erlassen).

Gestützt werden diese Maßnahmen in allen Ländern auf § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Die Norm ermächtigt die Behörden beim Auftreten von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern generell, die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ zu erlassen[3]. Das heißt aber nicht, dass es den zuständigen Behörden freisteht, nach gusto Ausgangssperren zu verhängen. Im Gegenteil: Das Gesetz selbst gibt in §§ 29 ff. den Maßstab vor und nennt ausdrücklich Maßnahmen die in Betracht kommen. Diese sind zwar nicht abschließend, aber der grundgesetzliche Bestimmtheitsgrundsatz gibt vor, dass solche Maßnahmen die eine ähnlich grundrechtseinschränkende Tragweite, wie die in § 29 ff. IfSG aufgezählten Maßnahmen haben, ebenfalls ausdrücklich genannt werden müssen. Eine generelle Ausgangssperre sieht das Gesetz aber eben nicht vor. Auch die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Bundestag bei Verabschiedung der IfSG generelle Ausgangssperren aufgrund dieser Vorschrift nicht im Blick hatte [4].

Nun könnte man diesen Umstand als juristische Fachsimpelei abtun. Zumindest sind sich ja weite Teile der Gesellschaft (auch wir KJL) einig, dass es im Moment sinnvoll ist, Kontakte zu vermeiden. Nur resultiert aus einem Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln selten etwas Gutes. Schon allein der Umstand, dass das Privatleben und die Grundrechte der Bevölkerung stark eingeschränkt werden, während Großraumbüros und Werkhallen offenbleiben dürfen und die Beschäftigten dementsprechend zur Arbeit gehen müssen, wirft Fragen auf. Aber vor allem zeichnen sich die Verordnungen und Verfügungen dadurch aus, dass sie bis zur Unverständlichkeit unbestimmt sind.

Das führt dazu, dass derzeit niemand so recht weiß, was erlaubt ist und was nicht. Für ein selbstbestimmtes, demokratisches Gemeinwesen ist diese Situation fatal: Es eröffnet denjenigen Behörden, die mit der Durchsetzung der Maßnahmen betraut sind – allen voran der Polizei -, die Möglichkeit festzulegen, wie die konkreten Ausgestaltungen der Maßnahmen aussehen. Bei derart vagen Vorschriften gibt man ihnen quasi die Befugnis, selbst Recht zu setzen. Das polizeiliche Unverständnis von Demokratie und deren struktureller Rassismus stellten schon vor der aktuellen Krise einen beachtlichen Grund zur Sorge dar. Noch mehr willkürliche Kontrollen und Schikanen sind unter den Krisenregelungen voraussehbar.

In Sachsen legte die Polizei zum Beispiel freimütig fest, dass das in der Allgemeinverfügung bezeichnete „nähere Umfeld“ ein Radius von 5 km ist und erstatte bei einer Schwerpunktkontrolle am Cospudener See großzügig Anzeigen. Zwar musste sie sich unlängst für diese allzu deutliche Kompetenzüberschreitung entschuldigen [5], wer aber nach der Entschuldigung eine restriktivere und grundrechtsfreundliche Auslegung der Allgemeinverfügung erwartete, wurde schnell enttäuscht. Auch weiterhin legt die sächsische Polizei die Allgemeinverfügung widersprüchlich aus. So stellen bspw. Angeln und Jagen einen „triftigen Grund“ dar, das Haus zu verlassen; zu langes Verweilen auf einer Parkbank oder auf der Wiese bleibt dagegen ordnungswidrig.

Aber nicht nur, dass die Polizei Normen eigenmächtig konkretisiert und dabei von den eigentlich zuständigen Stellen nicht in ihre Schranken verwiesen wird. Sie wendet die Vorschriften auch völlig willkürlich an. Besonders hart von der Willkür getroffen sind diejenigen, die ohnehin dem Feindbild der Polizei entsprechen:

In Niedersachsen war eine nicht-weiße Frau mit ihren zwei Töchtern unterwegs. Ein Passant, der nicht glaubte, dass es ihre Töchter waren, rief die Polizei. Diese schlossen sich den Zweifeln des Passanten vorbehaltlos an und fuhren die Frau nachhause. Dort musste sie den Nachweis erbringen, dass die beiden Mädchen tatsächlich ihre Töchter sind. Einige Tage später wurde ihre Mutterschaft erneut von Polizist:innen angezweifelt. Auf die Frage, ob das auch einer weißen Person passieren würde, wussten die Beamten wohl keine Antwort. (Nein!) [6]

Auch progressive Menschen müssen sich Gängeleien im Namen der Gesundheit gefallen lassen. In Berlin wurde am 28.04 eine Person die alleine (!) mit einem Schild mit der Aufschrift „Jede:r zählt! Griechische Lager evakuieren #LeaveNoOneBehind“ herumlief, von 6 Polizisten bedrängt, die ihm:ihr mitteilten ihr:sein Spaziergang sei „nicht glaubwürdig“ (!). [7]

Ähnliche Vorfälle gab es auch in Hamburg. Dort haben Menschen mit Schildern (den Sicherheitsabstand einhaltend) gegen die menschenunwürdige Geflüchtetenpolitik der EU protestiert. Die Polizei „leitete Maßnahmen ein“, weil die Menschen angeblich eine Versammlung bildeten. [8]

Was die Gerichte betrifft, zeigt sich vorerst noch kein einheitliches Bild. Das Verwaltungsgericht (VG) München gab einem Eilantrag gegen die dortige Verfügung statt. Allerdings prüfte es nur die formelle Rechtmäßigkeit: Der Erlass der Maßnahmen hätte auf dem Weg einer Rechtsverordnung stattfinden müssen. Inhaltlich wurde deshalb gar nicht weiter geprüft, ob die Verfügung auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. [9] Der bayrische Verfassungsgerichtshof lehnte trotz Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eine Außerkraftsetzung der bayrischen Verfügung ab. [10] Das VG Dresden lehnte einen Eilantrag ab. Allerdings wurde auch hier nicht umfassend geprüft, sondern nur die Frage beantwortet, ob die Untersagung einer Versammlung mit der Allgemeinverfügung begründet werden kann. Ob die sächsische Allgemeinverordnung / Rechtsverordnung tatsächlich in allen Punkten rechtmäßig ist (insb. Verhältnismäßig) wurde hingegen nicht entschieden. [11]

Insgesamt bleibt abzuwarten wie die Gerichte sich zu den derzeitigen Regelungen positionieren. Klar ist, dass physische Distanzregelungen, wenn sie Wirkung zeigen sollen, länger als 3 Wochen aufrechterhalten werden müssen. Die Frage ist, wie das geschieht. Autoritär und widersprüchlich oder aufgrund von Einsicht, solidarisch und maßvoll. Derzeit sieht es stark nach der ersten Alternative aus.

Die Aufgabe einer kritischen Zivilgesellschaft bleibt es auch in Zeiten der Krise eine Alternative abseits autoritärer Maßnahmen zu erarbeiten!

[1] Über Sinn und Unsinn von Ausgangssperren (nicht social distancing an sich) wird nach wie vor kontovers diskutiert.
[2] https://www.zeit.de/…/krisenmanagement-markus-soeder-michae…; https://www.tagesspiegel.de/…/hauptsache-effe…/25671532.html)
[3] https://www.juwiss.de/27-2020/
[4] sehr lesenswert: https://www.juwiss.de/27-2020/; https://verfassungsblog.de/freiheitsrechte-ade/
[5] https://www.polizei.sachsen.de/de/MI_2020_71554.htm; außerdem wurden die Anzeigen nicht zurückgenommen, sondern der Staatsanwaltschaft als „Prüffall“ überreicht.
[6] https://twitter.com/Wortweber/status/1242389544995106816
[7] https://twitter.com/BorderlineEu…/status/1243918962989109254
[8] https://twitter.com/jannisgrosse/status/1243911726829010944
[9] http://www.vgh.bayern.de/…/muen…/presse/pm_2020-03-24_b1.pdf
[10] https://www.lto.de/…/verfgh-bayern-vf6vii20-coronavirus-au…/
[11] http://kanzlei-feilitzsch.de/blog/?p=115

Filed Under: Allgemein

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